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"Den Städten Leben einhauchen"

Karin Gasser für unsere Sponsoren

Findet Stadt statt? Diese Frage stellte sich die Fachschaft Soziologie der Universität Bern und lud Studierende aus der ganzen Schweiz ein, sich in einem Kolloquium zwei Tage lang mit Städten und ihren Bewohnerinnen und Bewohnern auseinanderzusetzen. Über 100 Studierende und Fachpersonen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen nahmen die Einladung an und beschäftigten sich in Workshops und auf Exkursionen mit städtischen Lebensweisen und Stadtentwicklung. Dieser Bericht gibt einen Einblick in einige der diskutierten Themen.

Stadt ist Verdichtungsraum, Ort des sozialen Wandels, kulturelles und ökonomisches Zentrum und übt seit jeher auf viele Menschen eine starke Faszination aus. Eine Veranstaltung, die sich mit möglichst vielen Facetten des urbanen Raums beschäftigen will, kann sich nicht auf eine Disziplin beschränken. Am Kolloquium wurden deshalb Workshops und Exkursionen von Soziologinnen, Städteplanern, Historikerinnen, Geographen und Architektinnen angeboten. Das vielfältige Angebot führte dazu, dass auch die teilnehmenden Studierenden nicht nur aus der Soziologie kamen, sondern aus ganz unterschiedlichen Studienfächern, Fachhochschulen und Universitäten den Weg an die Unitobler fanden. Dieser Bericht gibt einen Einblick in einige der diskutierten Themen.

Was ist Urbanität? In einem Workshop von Prof. Gabriele Sturm aus Marburg unter dem Titel "Urbanität: Versuch einer szenischen Rekonstruktion" gingen die Studierenden dieser Frage nach. Nachdem sie sich auf einige für Urbanität bezeichnende Begriffe geeinigt hatten, mussten sie deren Beziehung zueinander räumlich darstellen. In der Diskussion darüber, wie sich nun die einzelnen Begriffe zueinander verhalten, sind viele spannende Aspekte aufgetaucht, die wohl ohne den Zugang aus verschiedenen Disziplinen nicht zur Sprache gekommen wären.

Abwanderung aus den Städten Ein zentraler Diskussionspunkt während des Kolloquiums war die Frage, wie die Abwanderung aus den Kernstädten gestoppt werden könnte. Der Workshop von Marcus Menzl aus Hamburg beschäftigte sich mit dieser Problematik. Aufgrund des anhaltenden Abwanderungsprozesses gerät die bisherige Struktur der Stadt arg in Bedrängnis, denn die Zentren werden zu blossen Arbeitsstätten, die unter der Last des Pendelverkehrs zu leiden haben. Zudem entsteht soziale Segregation, da nicht alle Bevölkerungsgruppen ins Umland abwandern, sondern nur diejenigen, die sich dies auch leisten können. Gemeinsam erarbeiteten die Studierenden im Workshop Motive, die Menschen dazu bringen, aus der Stadt abzuwandern. Laut einer Studie aus Hamburg gibt es drei Kategorien von Abwanderern: Lebensqualitätsoptimierer, Preisoptimierer oder jene, die zurück aufs Land wollen, weil sie dort aufgewachsen sind. Wie kann dem entgegengewirkt werden? Wer die Entscheidung trifft, aus der Stadt abzuwandern, tut dies immer in einem Kontext - und dieser kann verändert werden. Um Abwanderung zu verhindern, gilt es, diejenigen Aspekte von Lebensqualität in der Stadt zu fördern, die viele Menschen ausschliesslich dem Land zuschreiben: Gemeinschaft, Freiraum für sich und die Familie, Sicherheit.

Betrachtungen vor Ort Nebst Workshops wurden am Kolloquium auch Exkursionen durchgeführt - das Thema Stadt sollte nicht nur von der Studierstube aus beleuchtet werden, sondern auch praktisch erfahrbar sein. Auf den Exkursionen konnten sich die Teilnehmenden nicht nur ein Bild von den aktuellen Problemen eines Quartiers machen, sondern auch viel über dessen Entwicklung erfahren. So zeigte Daniel Blumer auf seiner Exkursion durch die Lorraine, wie das ehemalige "Problem- und Sanierungsgebiet" zum Trendquartier geworden ist. Noch in den sechziger Jahren wurde die Lorraine von den Berner Behörden als nicht erhaltenswert eingestuft; viele Gebäude sollten abgerissen und die Lorrainestrasse zu einer Schnellstrasse ausgebaut werden. Doch die Rezession in den siebziger Jahren stoppte dieses Projekt. In den darauffolgenden Jahrzehnten entstand in der Lorraine ein vielfältiges Kulturangebot - heute gehört das Quartier zu einer der beliebtesten Wohngegenden.

Zukunft der Städte? In der abschliessenden Podiumsdiskussion diskutierten die Fachpersonen darüber, wie die Zukunft der Städte aussehen soll und welchen Beitrag ihre Disziplinen dazu leisten können. Die Erhaltung der Städte als vielfältige Wohn- und Lebensräume wird nur dann gelingen, wenn Stadtplanung und Architektur zunehmend die Menschen ins Zentrum rücken, nicht nur Objekte fixieren, sondern Strukturen betrachten und entwickeln. Anstatt einzelne Gebäude zu planen und zu bauen, sollte man sich stets fragen, was eigentlich passiert, wenn mehrere Häuser beieinander stehen. Gefragt sind kreative Lösungen, die weniger auf Neubauten fokussieren, sondern auf fantasievolle Umnutzungen von bereits Bestehendem. Somit könnte eine fortschreitende unkontrollierte Ausdehnung der Stadt verhindert werden. Stadtplanung, Architektur, Soziologie und weitere betroffene Disziplinen sollten diese Herausforderungen annehmen und in einer vermehrten interdisziplinären Zusammenarbeit Lösungen entwerfen. Nach Meinung der Podiumsteilnehmenden können die gegenwärtigen und zukünftigen Probleme unserer Städte nur dann bewältigt werden, wenn ein "civic spirit" in den urbanen Raum einkehrt und wir der Stadt wieder Leben einhauchen. Städterinnen und Städter sollten eine neue Politikfähigkeit entwickeln und sich an urbanen Initiativen zur Verbesserung der städtischen Lebensqualität beteiligen. In diesem Sinne gab ein Städtebauplaner den am Kolloquium teilnehmenden Studierenden die Botschaft mit auf den Weg: "Geht und eignet euch die Stadt an!"

kolloquium.soziologie.ch Das interuniversitäre Kolloquium "Findet Stadt statt? Soziologie des urbanen Raums" wurde vom 30.11. bis 2.12.01 an der Unitobler in Bern durchgeführt. Ziele des Kongresses, der von Studierenden für Studierende organisiert wurde, waren eine interdisziplinäre Annäherung an das Thema und die Förderung interuniversitärer Kontakte unter den Studierenden. Organisatorin war die Fachschaft Soziologie. Die Veranstaltung wurde von verschiedenen Institutionen finanziell unterstützt. Berichte, Fotos und die Abstracts der Workshops sind unter http://kolloquium.soziologie.ch einzusehen. Das kolloquium.soziologie.ch wird seit 1999 alljährlich von einer Soziologiefachschaft organisiert. Im Jahr 2002 wird die Veranstaltung in Genf stattfinden.

 

 
letzte Änderung: Wednesday, 19-Oct-2005 11:03:42 CEST
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